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“Whatever it takes” – den Binnenmarkt jederzeit verteidigen

Der Europäischen Union wird oft vorgeworfen, ein von den Bedürfnissen der europäischen Bürger weit entferntes bürokratisches Monster zu sein. Politiker und Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten entziehen sich zuweilen der Verantwortung für kritische Themen oder ungünstige Entwicklungen und geben gerne “denen in Brüssel” die Schuld.

Aber wir sollten niemals vergessen, dass die Europäische Union kein unbekannter Dritter oder dieser weit entfernte unfreundliche Onkel ist, der selten zu Familienfeiern eingeladen wird. Nein, die Europäische Union ist unsere Familie und sie ist das größte und erfolgreichste Friedensprojekt in der Geschichte der Menschheit. Wir sollten niemals die Grundidee vergessen, die da lautet “Frieden und Wohlstand durch freien Handel”.

Fast 70 Jahre nach der bemerkenswerten Nachkriegsinitiative von Robert Schuman hat die Europäische Union im Jahre 2020 unfreiwillig bewiesen, dass Solidarität und das gemeinsame Verständnis dieser supranationalen Institution nicht selbstverständlich sind. Es erfordert tägliche Pflege und harte Arbeit. Als die Corona Pandemie ausbrach, haben Regierungen weltweit auf nationale Ansätze im Kampf gegen die unkontrollierte Verbreitung dieses neuen Virus vertraut. Dies führte zu „Lockdowns“ ganzer Gesellschaften und Grenzschließungen.

Leider waren diese Ansätze kontraproduktiv und führten zu anderen Problemen. Medikamente erreichten die bedürftigen Patienten nicht, medizinisches Material stand Krankenschwestern und Ärzten in den am stärksten betroffenen Gebieten nicht ausreichend zur Verfügung und Beatmungsgeräte waren in etlichen Krankenhäusern nicht vorhanden, während in anderen Regionen ausreichend vorhandene Beatmungsgeräte ungenutzt blieben oder gar Staub ansetzten.

Nationale Ansätze wie Grenzschließungen oder auch „staatliches hamstern“ waren von Anfang an eine zu einfache und naive Strategie. Natürlich sind Pandemien immer eine Frage von Unsicherheiten, des Zeitdrucks und vorübergehender lokaler Quarantänemaßnahmen. Und ohne Zweifel ist die Rettung gefährdeten Lebens der wichtigste Ausdruck von Menschlichkeit. Aber wir sind voneinander abhängig und deshalb müssen wir uns der Herausforderung dieser Pandemie gemeinsam stellen.

Menschlichkeit und Solidarität fallen nicht vom Himmel. Dennoch müssen wir immer die Opportunitätskosten bzw. die Gesamtfolgen bedenken. In diesem Fall zeigte sich der Preis nationaler Alleingänge in geschlossenen Geschäften, eingestelltem Flugverkehr und Lkw-Schlangen an Grenzübergängen in ganz Europa. Infolgedessen waren Produkte von A bis Z einschließlich Lebensmittel und Arzneimittel teilweise in Geschäften und Apotheken in allen Ländern der Welt ausverkauft.

Wir alle erinnern uns an die Nachrichten und Bilder von leeren Regalen und Menschen, die aus Panik Toilettenpapier, Mehl und Konserven horteten. Das Wort “hamstern” wurde wieder populär. Die allgemeine Angst und Ungewissheit in dieser Zeit, keine konstante Versorgung zu bekommen, befiel nicht wenige nationale Regierungen.

Der oben genannte grenzüberschreitende Handel als Garant für eine ausreichende Versorgung war eingeschränkt oder für bestimmte Waren gar verboten. Auch bei der Arzneimittelversorgung entstanden massive Engpässe.

All dies erinnerte uns sehr schnell daran, dass die Versorgung der Bevölkerungen eine Frage der Spezialisierung, der arbeitsteiligen Produktion und des freien Handels über offene Grenzen ist. Konsequenterweise kämpfte die EU-Kommission gegen illegitime, unangemessene und einseitige Maßnahmen und sicherte weitestgehend den freien Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt.

In dem eindringlichen Plädoyer von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang April an die nationalen Regierungen, Exportverbote aufzuheben und staatliches Hamstern zu unterlassen, stellte sie sehr deutlich und wörtlich heraus, dass insbesondere der freie Warenverkehr von Arzneimitteln eine Frage der Solidarität ist!

Für mich war es zudem ein Meilenstein in der Erhaltung von Schumans Vermächtnis. Wir alle brauchen mehr – nicht weniger – Europa. “Whatever it takes” ist ein typisches politisches Statement, um die Bedeutung von Maßnahmen in einer Krise zu unterstreichen. Und mit “was immer es braucht”, müssen wir unseren gemeinsamen Binnenmarkt jederzeit verteidigen und stärken. Einschließlich des freien Warenverkehrs.

 

Jörg Geller
Präsident von Affordable
Medicines Europe, Brüssel
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